The Computerized Palate
Digital Technologies and the Lower Senses

Vortrag an der Erasmus Universität Rotterdam: Sensing Machines: Michel Serres and the Five Senses of AI

Mittwoch 5 Nov. 2025, 15:00–17:00

Van der Goot M2-12, Campus Woudestein, Erasmus University

In seinem Vortrag untersucht Felix Hüttemann aktuelle Sensor- und KI-Kopplungen, die als elektronische Nasen und Zungen angeblich menschenähnliche Wahrnehmungen erzeugen. Er stützt sich dabei auf Michel Serres’ Analyse der fünf Sinne in Bezug auf Sensualismus, Condillac und Sauternes (Château d’Yquem).

Sensorische Medien sind ästhetische Medien par excellence, da sie Dinge für den Menschen wahrnehmbar machen, die sonst nicht wahrnehmbar wären. Sein Fokus liegt auf „sensing machines“ im weitesten Sinne, die genauer als „tasting machines“ beschrieben werden. Gemeint sind damit “electronic sensors, machine ‘intelligence,’ human labor, and material infrastructures interwoven with our living, breathing, and moving bodies that sense, interpret, and act on the world” (Chris Salter: Sensing Machines, 2022, S. 4). Seine Frage lautet: Wie könnte eine Computerisierung oder eine Medienästhetik der Unmittelbarkeit digitaler Medien aussehen?

Serres’ Überlegungen stehen stellvertretend für die medienphilosophische Auseinandersetzung mit diesem medienästhetischen Problem, für das die Reflexion über die menschliche Wahrnehmung eine Suche nach Erkenntnis bedeutet. Er charakterisiert diese Reflexion als Beschreibung sinnlicher, multisensorischer Erfahrung von Mischungen und Vermischungen oder – in Anlehnung an den französischen Untertitel philosophie des corps mêlés – vermischten Körpern.

Dabei profiliert er eine Form der Erkenntnistheorie, die sich als „Wissenschaft der Sinneserkenntnis“ als „niedere Erkenntnistheorie“ (Baumgarten 1988, § 1) der Mischungen und Amalgame ausarbeiten lässt. Mit diesem Ansatz konzipiert er einen bislang marginalisierten Teil der Ästhetik neu, der sich primär auf die Theoretisierung der menschlichen Sinneswahrnehmung konzentriert und sich nicht dem primären Sehsinn widmet, sondern das Greifbare und Flüssige, Geschmack und Geruch, als Möglichkeiten einer anderen Form der Erkenntnis untersucht. In Bezug auf die Mehrdeutigkeit des lateinischen Wortes „sapere“, das sowohl „wissen“ als auch „schmecken“ bedeuten kann, geht Serres davon aus, dass nur diejenigen, die wirklich mit Einsicht oder Wissen schmecken, Homo sapiens sind. In diesem Sinne bedeutet „sapere“ nicht nur, den eigenen Intellekt, sondern auch den eigenen Geschmack zu nutzen.

Was Michel Serres 1985 in seinem Buch „Die fünf Sinne“ vorhersagte – dass Computer bald nicht nur Sauternes, einen edelsüßen Weißwein aus Bordeaux, von Coca-Cola unterscheiden können –, hat sich dank einer Kombination aus Sensortechnologie und großen Sprachmodellen bewahrheitet. Tatsächlich arbeitet die Sensor- und KI-Forschung daran, Beschreibungen und Bewertungen multisensorischer Geschmacks- und Geruchsprofile – von der Kochkunst und Parfümerie bis hin zu menschlichen Gerüchen in Medizin und Pharmazie – digital zu generieren, zu erkennen und zu speichern.

In „Die fünf Sinne“ begreift Serres Ästhetik als Aisthetik und kritisiert gleichzeitig den Logozentrismus. Serres’ Aisthetik bedeutet nichts anderes als die Untersuchung der Bedingungen der Möglichkeit, die Welt durch Medien wahrzunehmen, aber auch die Wahrnehmung von Medien. Gleichzeitig steht sie im Gegensatz zur mittlerweile kanonischen These, dass Medien im Rahmen der Mediation an-aisthetisch werden.

Im Anschluss an Felix Hüttemanns Vortrag folgt eine Antwort von Aldo Houterman und eine offene Diskussion.

Die Veranstaltung ist kostenlos und offen für alle, eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an sturmer@esphil.eur.nl

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